Sterile Fische aus der Maschine

Das Künstlerpaar Revital Cohen und Tuur Van Balen erkundet die Grenze zwischen natürlichem und künstlichem Leben. Ich habe mir ihr neues Werk Sterile, zu sehen in Berlin, angeschaut: Sterile Fische, die von einer Maschine produziert werden und selbst zu Maschinen werden:

Im Gespräch mit dem Künstler Tuur van Balen (ab Minute 36):
(Breitband 31.01.2015 im Deutschlandradio Kultur)

Im Gespräch mit dem Kurator Jens Hauser (ab Minute 14)
(Zeitfragen 29.01.2015 im Deutschlandradio Kultur)

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Es gibt in Japan heute Bestrebungen, der Überfischung vorzubeugen, indem man versucht, Makrelen dazu zu bringen, direkt Thunfisch abzulaichen. (Jens Hauser)

Anja Krieger
Der Ausstellungsraum hier Unter den Linden ist gleißend hell, komplett weiß, und in der Mitte stehen auf drei weißen Stehlen drei transparente Aquarien, und in jedem dieser Aquarien schwimmt einsam ein kleiner Goldfisch. Die Goldfische sehen ein bisschen anders aus als normalerweise, die sind ein bisschen heller und haben rote Augen, das sind nämlich Albinofische.

Das ist nicht das einzig Besondere, diese Fische sind nämlich auch steril. Das heißt, sie können sich nicht mehr reproduzieren, und sind also nicht nur ganz einsam in ihren Aquarien, sondern auch komplett abgeschnitten vom Kreislauf des Lebens. Produziert haben sie die beiden Künstler Tuur van Balen und Revital Cohen. Neben diesen drei Aquarien steht jetzt eine Maschine, die sehr technisch anmutet, könnte vielleicht in einem medizinischen Labor oder auch einer Fabrik stehen. Die Maschine heißt Sensei Ichigo. Neben mir steht jetzt der Kurator der Ausstellung. Jens Hauser, was heißt denn Sensei Ichigo?

Jens Hauser
Ich selber bin des Japanisch nicht mächtig, aber die Künstler haben natürlich recherchiert und diesen Titel gewählt, weil er soviel heißt, wie „der, der vorangeht“, „Lehrmeister“, „der Erstgeborene“, und ‚Ichigo‘ heißt dann soviel wie „Seriennummer 1“. Diese Maschine ist dafür gedacht, im Prinzip diese sterilen Goldfische mechanisch-biologisch, biotechnisch hier zu reproduzieren, so dass hier praktisch am Fließband sterile Goldfische hergestellt werden können, so wie auf der anderen Seite ja auch unsere Saatguthersteller uns Samen verkaufen, der, nicht wie früher über Kulturpflanzen (gewonnen wird, sondern) den man jedes Jahr als Landwirt nachkaufen muss.

Diese Maschine kann über vorher extrahierte Eizellen und Spermazellen, unter Zusatz von sogenannten Morpholinos diese sterilen Fische hier in einer Woche inkubieren. Aber wichtig ist, dass diese Maschine gar nicht dazu gedacht ist, in Gang gesetzt zu werden, sie ist im Stand-by-Modus, was bedeutet, dass die Künstler ganz klar wollen, dass die Entscheidung darüber, ob die Maschine in Gang gesetzt werden soll oder nicht, eine gesellschaftliche ist. Und dass sie die Frage stellen wollen, ob alles das, was technisch machbar ist, auch wirklich technisch gemacht werden soll.

Anja Krieger
Diese Fische wurden tatsächlich jetzt für das Kunstprojekt produziert, oder gab es die sowieso schon?

Jens Hauser
Diese Fische speziell wurden in dem japanischen Labor hergestellt, und zwar in einem Labor, was sich darauf spezialisiert hat, Fische als Maschine für etwas anderes zweckzuentfremden. Und darum geht es auch in der ganzen Ausstellung, dass im Prinzip das Lebendige zur Maschine geworden ist, und dass diese Fische beispielsweise auch deshalb keine Keimzellen mehr ausbilden können oder können sollen, damit sie möglicherweise etwas anderes herstellen können.

Es gibt in Japan heute Bestrebungen, beispielsweise der Überfischung vorzubeugen, indem man versucht, Makrelen dazu zu bringen, direkt Thunfisch abzulaichen – was wesentlich kostengünstiger wäre. Und auch hier stellt sich natürlich die Frage, was ist ökologisch verantwortungsvoller, könnte man nicht einfach weniger Fisch essen?

Da ist es interessant zu fragen, wie verhält man sich als Gesellschaft auch angesichts einer Technowissenschaft, die nicht mehr nur analysiert, sondern synthetisiert – und synthetisiert nicht mehr im Sinne von physikalischen, elektronischen Geräten, sondern im Sinne von wirklich lebendigen Maschinen.

Bild oben: Albino-Goldfish: Revital Cohen & Tuur Van Balen: “Sterile”, © Revital Cohen & Tuur Van Balen


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