Kubas weiter Weg ins Web

Von der digitalen Avantgarde zum netzarmen Nachzügler: Auf Kuba ist es auch heute noch eine Herausforderung, ins Netz zu kommen. Das dürfte sich erstmal nicht ändern – trotz schnellerer Datenübertragung über ein neues Kabel.

Es war einmal ein Land, das zur digitalen Avantgarde gehörte. Schon Anfang der 80er kommunizierte Kuba mit der Sowjetunion über Email. Mitte der 90er kam das Web. „Eine neue Ära hat begonnen“ freute sich damals Jesus Martinez, Direktor des National Center of Automated Data Exchange, CENAI, das heute CITMATEL heißt. Per Dial-Up ging es über vier Netzwerke ins internationale Netz, darunter das medizinische InfoMed und ein Netzwerk von Computerclubs für Jugendliche. 15 Jahre später ist Kuba nicht viel weiter. Als „langsam, teuer und restriktiv“ beschreibt Larry Press, Professor an der California State University, den Zugang auf der Insel, der immer noch über Dial-up und einen Satelliten geht – ein schwacher Anschluss für rund 11 Millionen Kubaner.

2010 hatten laut offiziellen Angaben der kubanischen Regierung fast 16 Prozent der Bevölkerung Zugang zum Internet. Damit dürfte auch der Zugang zu Email und dem kubanischen Intranet gemeint sein. Die Organisation Freedom House setzt die Zahl der Netznutzer im Bericht „Freedom on the Net 2011“ deutlich niedriger an: Ein bis drei Prozent betrage die Penetrationsrate.

Auf Kuba ins Netz, das heißt meist: Surfen im Intranetz. Im gefilterten kubanisches Netz findet sich mit EcuRed auch eine kubanische Version der Wikipedia. Ellery Biddle von der Open Net Initiative stellt aber fest, dass Kuba nur “eine Handvoll” oppositioneller Websites filtert.

Mehr ist wohl auch nicht nötig. Wie das Telefonieren ist das Netz in Kuba vor allem eins: Teuer. Selbst wenn ein Internetcafe in der Nähe ist: Die Kubaner können es sich kaum leisten. Ihr durchschnittliches Monatseinkommen wäre nach zwei Stunden pro Monat im staatlichen Internetcafe aufgebraucht, rechnet Jochen Dreier vor – oder nach 20 Tweets, wie die Welt schreibt. Da braucht die kubanische Regierung eigentlich erstmal keine Angst vor einer Facebook-Revolution zu haben, trotz Facebook-Gruppen wie “Cubans in Facebook“.

Laut Reuters gibt es auf Kuba mittlerweile über eine Million Mobiltelefone. James Scudamore erfuhr bei einem Besuch auf der Insel, wie Kubaner ihre Telefone nutzen. Sie können sich nur den Apparat, nicht aber die Anrufe leisten. Deshalb klingeln sie sich gegenseitig an, ohne abzuheben. Durch den “Silent Call” wissen die Angerufenen, wer an sie denkt.

Die kubanische Regierung und einige Beobachter machen das US-amerikanische Embargo für die schlechte Anbindung verantwortlich. Nur wenige Kilometer vor Havanna verbinden Glasfaserkabel Cancún und Miami. Den Bann, der es US-Telekommunikations-Firmen verbot, ihre Fühler in Richtung der Insel auszustrecken, hat die Obama-Regierung aber 2009 aufgehoben . Im November 2010 stellt Ellery Biddle jedoch fest, dass Obama sein Versprechen, die Restriktionen für US-Firmen im Telekommunikationsbereich aufzuheben, bisher nur unzureichend umgesetzt hat.

Larry Press glaubt, dass es eine bewusste politische Entscheidung war, das Netz nicht weiter aufzubauen. Angesichts des “Diktatoren-Dilemma” habe sich der jetzige Staatschef Raul damals gegen seinen der Technologie gegenüber aufgeschlosseneren Bruder Fidel durchgesetzt. Statt wie in China ein politisch eingeschränktes Netz aufzubauen, das wirtschaftlich genutzt werden kann, ging Kuba dem digitalen Fortschritt aus dem Weg.

Ob es der kubanischen Regierung mittlerweile doch daran liegt, den Zugang der eigenen Bevölkerung zum Netz zu verbessern, dürfte sich bald zeigen. Venezuela hat dem sozialistischen Partnerland ein Glasfaserkabel geschenkt. ALBA-1 liegt schon im Wasser und soll noch diesen Herbst in Betrieb gehen. Nach offiziellen Angaben kann es den Datentransfer um das 3000-fache verschnellern. Die Hoffnung auf Netz für alle dämpfte die Regierung aber schon mal vorsorglich. Die Weiterleitung der Daten aus dem schnellen Kabel wird allein schon durch die schlechte Infrastruktur im Land problematisch.

Entwicklungshilfe aus den USA steht die kubanische Regierung kritisch gegenüber. Die kubanisch-amerikanische Firma TeleCuba hatte 2009 einen Antrag gestellt, Kuba über Key West zu verbinden, eine deutlich geringere Distanz als nach Venezuela. Von US-Seite wurde das abgesegnet, Kuba lehnte jedoch ab, wie auf den Blogs Foreign Policy Blogs und Havana Times zu lesen ist. Kürzlich wurde der US-Amerikaner Alan Gross für das Verteilen von technischem Equipment für Computer und Satelliten-Telefonen auf Kuba zu 15 Jahren Haft verurteilt.

Aus Sicht von Robert Guerra von Freedom House wird Kuba über Venezuela nun an ein Netz angeschlossen, das „nicht das richtige Internet ist“, sondern ein „hochgradig repressives“. Venezuela stehe dem Netz zunehmend restriktiv gegenüber. Zudem sei China involviert. Ein für den Kabelbau gegründetes staatliches Venture aus Kuba und Venezuela, Telecomunicaciones Gran Caribe, führt das Projekt aus. Verantwortlich für die Installation des Kabels ist Shanghai Bell, dass zur französischen Firma Alcatel-Lucent gehört. Laut Larry Press hat China Venezuela zudem Geld im Tausch für Aufträge beim Projekt geliehen. Der Termin der Inbetriebnahme des Kabels wurde mittlerweile schon mehrfach verschoben, zuletzt von Juli auf September oder Oktober. Reuters berichtet von Korruptionsvorwürfen und technischen Schwierigkeiten.

Um in Zeiten mangelnden Netzzugangs und gefilterter Daten an Informationen im Netz zu kommen, sind die Kubaner erfinderisch. Freedom House zufolge hat sich ein Schwarzmarkt für Internet-Zugänge etabliert, auf dem Zugangsdaten weiter verkauft werden. Trotz des schlechten Netzzugangs gibt es in dem Land, das Reporter ohne Grenzen zum ‘Feind des Internet‘ erklärt hat, seit Jahren eine lebendige Bloggerszene. Mit Tricks, Umwegen und mit Unterstützung ausländischer Botschaften und Helfer stellt sie ihre Inhalt ins Netz. Schillerndste Figur der oppositionellen Szene ist Yoani Sánchez, deren Artikel weltweit übersetzt und veröffentlicht werden. Für die Castro-Regierung sind diese Blogger Agenten der US-Regierung, „Cyberdissidenten“, die das kommunistische Ideal für Geld an den Kapitalismus verraten.

Exilkubaner und andere Oppositionelle aus dem Ausland haben es leichter, ins Netz zu kommen. Sie stecken hinter vielen der Blogs und Aktionen zum Thema Kuba, die sich im Netz finden. Wie der durch Ägypten inspirierten Voice-to-Tweet-Audio-Plattform „Hablalo sin miedo“ („Sprich darüber ohne Angst“), der Facebookseite „Por el levantamiento popular en Cuba“ („Für einen Volksaufstand in Kuba“) oder der Aktion #sinpermiso, die ein Flugzeug voller Exilkubaner auf dem Flughafen Jose Marti in Havanna landen will, ohne offizielle Erlaubnis, aber mit Artikel 13 der Menschenrechte im Rücken: „Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.“

Im Netz lesen können das die meisten Kubaner nicht. Die Exilkubanerin Zoé Valdés schreibt, die Opposition müsse sich darum kümmern, dass Informationen auch innerhalb Kubas zirkulieren, nicht nur im Ausland. Laut Ted Henken, der die Bloggerszene in Kuba erforscht, sind technikaffine junge Kubaner aber über das, was im Netz diskutiert wird, informiert. Das “Radio Bemba”, wie die Kubaner ihre Gerüchteküche nennen, wird durch Speichersticks gefüttert, über die digitale Inhalte weiter gereicht werden. James Scudamore schreibt:

“That’s right: Radio Bemba has gone digital. Only about 2% of Cubans can get online (…), but it doesn’t matter. You don’t need the internet to get Radio Bemba. The news may be a little stale by the time you read it, but it gets around. Whole stacks of HTML files from news websites are dumped onto USB drives, brought into the country, and disseminated from person to person.”

Dass man das Netz nicht auf Dauer kriminalisieren kann, scheint die Regierung verstanden zu haben. Laut Reporter ohne Grenzen ist sie nun auf eine andere Strategie umgestiegen: Im Web mitzumachen und es mit positiven Nachrichten zu schwemmen. In einem Video bei YouTube weist sie die Vorwürfe von Reporter ohne Grenzen von sich.

Auch auf Blogs, Twitter und anderen sozialen Netzwerken wird mittlerweile für und gegen das kubanische System geschrieben. Für die einen sind schon die “vorletzten Tage” des Regimes angebrochen (so der Titel des Blogs @penultimosdias), andere verteidigen Fidel und das sozialistische System. Ein Deutungskampf zwischen Pro- und Counter-Revolutionären? Blog-Forscher Ted Henken, dem nach Interviews auf Kuba nun die Wiedereinreise verboten wurde, ist die Polarisierung zwischen “Officialistas” und “Mercenarios” zu einfach. Die kubanische Blogosphäre sei deutlich komplexer.

Laut Veröffentlichungen von WikiLeaks macht die neue Generation kritischer Blogger der Regierung anscheinend mehr Kopfzerbrechen als die schon älteren konterrevolutionären Dissidentengruppen. Aus Sicht der (natürlich nicht unparteiischen) US-Interessenvertretung in Havanna vom Dezember 2009 sieht die kubanische Regierung die Blogosphäre als eine der größten Herausforderungen an.

Seit Februar 2011 gibt sich die Regierung toleranter in Sachen Meinungsfreiheit im Netz: Die Blogs von Sánchez und einigen anderen Oppositionellen sind für die kubanischen Netznutzer freigeschaltet. Hat die kubanische Regierung entdeckt, was man noch so mit dem Netz machen kann, außer es zu verbieten? Vor zehn Jahren wollte Kuba als karibisches Silicon Valley aus der Krise – daraus ist nichts geworden. Nach Freigabe ihres Blogs fragte sich Yoani Sanchez, ob die neue Offenheit gegenüber den Bloggern vielleicht mit der 14. Informatica zusammen hängt, der internationalen Informatik-Konferenz, die zur selben Zeit in Havanna statt fand. Das Motto der Konferenz ist wohl bezeichnend für den Spagat, den Kuba gerade in Sachen Netz versucht: “Integration und Unabhängigkeit”.

Links

Foto: Cyber cafe. Melia Las Dunas, Cayo Santa Maria, Cuba. Feb-March 2008.Foto: dblackadder / Derek Blackadder auf Flickr, CC-by

Update 24.08.2011:
– Artikellink zum Embargo
– Ergänzung zu Obamas Embargo-Lüftung
– Link zu Artikel über das Verbot zur Wiedereinreise für Ted Henken
– Absatz zu WikiLeaks-Veröffentlichung
– Link freigegebene Blogs vom Februar 2011
– Yoani Sánchez Blogpost zur Freigabe

Link:

ZEIT online “Internet woanders” über die politische Dimension des neuen Glasfaserkabels


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